Schneider Schreibgeräte wird Fünfundsiebzig Teil 1
70 Jahre Kugelschreiber - die Patenterteilung an den ungarischen Erfinder Laszlo Biro im Jahr 1943 ist in den Medien ausgiebig publiziert worden. Die Geschichte des heutigen Massenprodukts ist ganz eng mit dem Unternehmen Schneider Schreibgeräte verknüpft. Als Pionier der technischen Weiterentwicklung und der industriellen Fertigung brachte Schneider nicht nur das Produkt zur alltagstauglichen Reife, sondern gelangte damit auch zu Weltgeltung.
Am 7. September 1938 gründen die beiden Mechaniker-Berufskollegen Christian Schneider und Erwin Blum die Firma Blum & Schneider oHG, Fabrik für Schrauben und Drehteile, in Tennenbronn im Schwarzwald. Erwin Blum scheidet nach zwei Jahren aus und Christians Bruder Fritz Schneider übernimmt seine Anteile. Durch den Einzug zur Wehrmacht kann er aber nie ins Firmengeschehen eingreifen und 1948 wird Gewissheit, dass er den Krieg nicht überlebt hat. Nun kommt mit Mathias Schneider ein weiterer Bruder ins Geschäft und arbeitet in der jetzt zur „Gebr. Schneider GmbH“ umgewandelten Firma mit.
Nach 1945 plant Christian Schneider mit zielstrebiger Energie den Neuanfang. Feuerzeuge, Fahrradventile, Verschlüsse, Scharniere, Spielzeugkreisel und allerlei Drehteile werden ab Frühjahr 1946 gefertigt. Der Kontakt zur Schreibgeräte-Industrie entsteht und Schneider erhält einen Auftrag über Füllhalterspindeln aus Aluminium. Bald zählen rund 20 Füllhalterhersteller zu den ständigen Schneider-Kunden. Im gleichen Jahr erfährt Christian Schneider zum ersten Mal von einem Schreibgerät aus Amerika, das mit einer rollenden Kugel schreibt. Er ist gleich hellhörig: Ein solcher „Kugelschreiber“ würde gut zur erfolgreich angelaufenen Teilefertigung für die Füllhalterfirmen passen. Doch wie sieht es mit den Patentrechten aus?
Trotz mancher Bedenken beginnt Schneider 1948 mit dem Bau von Musterminen und bald liegen erste Bestellungen vor. Das neue Produkt zeigt jedoch Tücken: Die Anforderungen an die Oberflächengüte und Härte der Kugeln sind extrem hoch und das Einpassen der Kugel in die Spitze bereitet in der Serienfertigung erhebliche Schwierigkeiten. Die größte Hürde ist jedoch die verwendete Ölpaste. Bei Hitze wird sie dünnflüssig und läuft aus und bei niedrigen Temperaturen zäh und kratzt nur noch über das Papier. Unablässig feilt Schneider an der Verbesserung von Technik und Chemie seiner Minen und macht dabei bedeutende Fortschritte. Es gibt kaum noch Reklamationen und die Fertigung kann mit der steigenden Nachfrage kaum noch Schritt halten. Die Minenqualität von Schneider hilft dem Kugelschreiber zum Durchbruch.
1950 bringt Schneider sein erstes Musterbuch mit insgesamt 60 Minen-Typen heraus. Erstmals wird die Mine als „Ersatzteil“ für Kugelschreiber propagiert. Bislang wurde sie nämlich als Festbestandteil des Kugelschreibers betrachtet. Sie konnte vom Anwender wieder aufgefüllt werden, was meist mit erheblicher Kleckserei verbunden war.
Für jeden Kugelschreiber die passende Mine: Ihre Vielfalt lässt das Minensortiment von Schneider bald auf über 100 Typen anwachsen. Schneider beschließt, energisch und systematisch auf eine dramatische Typenreduzierung hinzuarbeiten. Nur so ist das Fernziel zu erreichen: einfache, preiswerte und für jedermann verwendbare Kugelschreiber. Erst das Jahr 1957 bringt endlich die Veröffentlichung der von Christian Schneider zäh vorangetriebenen DIN 16554. Das DIN-Blatt reduziert die Minenvielfalt auf nur noch 8 Typen und beschreibt auch die Anforderungen an die Dokumentenechtheit der Pasten. Damit kann die Produktion weiter rationalisiert und der Mengenausstoß deutlich gesteigert werden.
1951 erfährt Schneider zum ersten Mal von den Biro-Patenten. Laszlo Biro, wegen seiner jüdischen Wurzeln nach Argentinien emigriert, kann die Schutzrechte auf seine Erfindung, eines „Schreibers mit Kugel und Schreibpaste“, vorweisen. Schneider schließt einen Lizenzvertrag ab und bezahlt in den folgenden 20 Jahren fast 10 Millionen D-Mark ein.
Am 2. November 1951 trifft das Unternehmen ein harter Schicksalsschlag. Mitinhaber Mathias Schneider erleidet einen Verkehrsunfall und erliegt seinen schweren Verletzungen. Die Firma „Gebr. Schneider“ existiert von hier an nur noch dem Namen nach, denn Christian Schneider ist der einzige Überlebende.
1953 finden die Chemiker das Rezept für eine dokumentenechte Paste. Sie fließt in die Produktion ein und macht die Schneider-Mine weiter salonfähig. Alle Minen bekommen nun den Aufdruck „Die gute Schneider-Mine“. Ein Papiermännchen mit einer Mine in der Hand wird zum neuen Firmenzeichen von Schneider. In Abständen von 4 bis 6 Wochen werden Händlerbriefe (heute würde man Mailings sagen) verschickt.
Die Bauarbeiter sind Dauergäste. Auf 280 Mitarbeiter ist die Belegschaft angewachsen, die Produktionsmenge steigt 1954 um fast das Doppelte auf 12,8 Millionen Minen. Schneider ist der führende Hersteller von Kugelschreiberminen geworden. Neben der Minenfertigung setzt um 1960 eine ständig steigende Herstellung kompletter Schreibgeräte ein.
1963 feiert Schneider sein 25-jähriges Bestehen. Die nun an einem Tag im Schneiderwerk hergestellten Minen ergeben einen Strich, der bis zum Mond reichen würde (384400 km). Die Schneider-Werbung läuft auf Hochtouren: Im In- und Ausland wird mit Aussendungen, Schaufensterdekos, Fernsehspots, Anzeigen, Preisausschreiben und vielem mehr die Bekanntheit von Minen und Kugelschreiber von Schneider gesteigert.
Christian Schneider weiß, dass dieser Aufstieg nur durch die Leistung und Motivation aller Mitarbeiter möglich war. Er bleibt stets ein „volksnaher“ Chef, pflegt die persönlichen Kontakte und lässt alle am Erfolg teilhaben. Betriebsausflüge, Leistungszulagen und Gewinnbeteiligung sind bereits eingeführt. Die sogenannte „Schneider-Siedlung“ in Tennenbronn wird gebaut - 13 Ein- und Zweifamilienhäuser zur günstigen Vermietung an Betriebsangehörige. Auch langfristige Baudarlehen zum Bau von Eigenheimen werden vergeben.